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Der Korndämon - Wenn du ihn siehst, ist es zu spät

Vor vielen Jahren – als noch Pferde über die Straßen trabten – war ein Knecht in einer ungewöhnlich kalten Nacht für diese Jahreszeit von Alvesse nach Wipshausen unterwegs. Während die Wolken sich langsam vor dem hellen Vollmond schoben und der Wind durchs Roggenfeld brauste, hörte man von weitem noch das klagende „Huu-hu“ eines Waldkauzes.

Die Füße schwer vom Schnaps, den er zuvor beim Kartenspiel trank, fasste der trinkfreudige Bursche den Entschluss, durch das Roggenfeld abzukürzen. Die Geschichten vom Korndämon, die man sich im Dorf erzählte, waren ihm wohl bekannt. Ein rachsüchtiger Geist, der in Form einer schaurigen Vogelscheuche oder einer abgemagerten alten Frau mit einem Kranz aus blutrotem Klatschmohn auf dem Kopf und Kornblumen in ihren Zöpfen geflochten erschien. Man erzählte, dass der Dämon all jenen unvorstellbares Unheil brachte, die es wagten, die harte Arbeit der anderen zunichtezumachen – zum Beispiel, indem sie die hochstängeligen Ähren zertraten. 

Aber der Weg war noch lang und die Abkürzung durch das Feld so verlockend. So setzte der müde Bursche seinen Weg durchs Getreide fort und trampelte dabei so einige Ähren nieder. Als er bereits ein gutes Stück des Weges gegangen war, vernahm er ein seltsames, unverständliches Wispern, das durch das Korn kroch und ihn erschaudern ließ. Hastig setzte er seinen Weg fort, die Rufe des Waldkautzes hallten immer lauter durch die Nacht, und der Mond war inzwischen fast vollständig von den dunklen Wolken verdeckt.


Plötzlich bog ein eiskalter Windstoß die vor ihm stehenden Halme auseinander, und der Unglückliche sah, wie sich eine furchteinflößende Gestalt aus den Ähren erhob, als ob sie direkt aus dem Boden kroch. Dieses Monster war unverkennbar. Es war eine dürre Gestalt, deren Gliedmaßen wie knorrige Äste wirkten. Fetzen von Lumpen flatterten um ihren spindeldürren Körper. Mitten im Feld stand der Knecht wie versteinert, unfähig, den Blick zu heben, um der Gestalt in die Augen zu sehen. Schließlich wagte er es aber doch und erblickte einen kürbisartigen Kopf mit einem schrecklichen, breiten Grinsen und hell glühenden Augen, die scheinbar direkt in seine Seele schauten. Er hätte doch auf dem Weg bleiben sollen.


Kaum sah er dieses grauenvolle Antlitz, stieß die Kreatur mit weit aufgerissenem Mund einen lauten, spitzen Schrei aus, der die Raben – die sich in einem Baum am Feldrand niedergelassen hatten – einen solchen Schrecken einjagte, dass sie kreischend die Flucht ergriffen. Und auch unser Knecht nahm die Beine in die Hand und rannte um sein Leben. Sein Herz raste, als er über den feuchten Boden lief und dabei immer mehr Ähren umknickte und niedertrampelte. Er lief so schnell, wie er nur konnte, aber der Dämon holte mit seinen langen, dünnen Beinen schnell auf. Seine Augen schienen dabei noch heller zu leuchten als bei seinem Erscheinen. Die Raben, die vorhin noch flohen, waren inzwischen zurückgekehrt und flogen über dem Dämon, als wüssten sie, welches schreckliche Schicksal dem armen Knecht bevorstand. Panisch erreichte er ein kleines Wäldchen, um darin Schutz zu suchen. Fast war er dem Korndämon entkommen, dachte er – doch da täuschte er sich bitter.


Am nächsten Tag fand der Bauer die Kleidung des Knechts in den Bäumen unweit des verwüsteten Feldes. Doch der Knecht selbst wurde nie wieder gesehen. Einige Dorfbewohner erzählten jedoch von einem seltsamen Schatten, der in kalten Herbstnächten über dem Acker schwebt. Man munkelt, dass der Knecht in jener unheilvollen Nacht zum Helfer des Korndämons wurde. Verdammt dazu, für alle Zeiten das Feld vor dem respektlosen Verhalten der Menschen zu bewachen.



Eine kleine Anmerkung zu den Wurzeln des Korndämons

"Der Korndämon" basiert lose auf eine alte Sage, die "die Kornhexe" heißt und im Buch "Sagenschatz des Kreises Peine" von Robert Bartels zu finden ist. Es geht darin um Zwei Lengeder Jungen, die Kornblumen im Feld pflückten und währenddessen auf die Kornhexe trafen, die sie dafür bestrafte, dass sie dabei die Ähren zertraten. Die Kornhexe ist deutschlandweit unter vielen verschiedenen Namen bekannt der bekannteste ist wohl Kornmuhme oder schlicht Korngeist. Meistens tritt sie um die Mittagszeit auf und kann sehr brutal bei ihren Bestrafungen vorgehen.

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