Sorgfältig durchsuchte er Raum für Raum. Seinem stechenden Blick entging keine Schublade und kein Schrank, in denen einst wertvolle Dokumente und Schmuckstücke lagen. Jedoch fand er nichts, bis auf modrige Luft, die das ganze Haus durchzog.
Als es dunkel wurde und er seufzend feststellte, dass seine Taschen noch immer leer waren, bemerkte er auf einem morschen Konzertflügel einen Kerzenhalter. Zu seinem Glück steckten sogar noch einige Kerzen darin, die er sogleich anzündete.
Er schaute auf seine Uhr. Es dauerte schon viel zu lang.
"Nur noch ein paar Zimmer, damit diese Aktion nicht umsonst war", dachte er.
Im Kerzenschein tanzten die Schatten zuckend an den Wänden und nahmen dabei die bizarrsten Formen an, was selbst das Herz eines solch abgebrühten Ganoven schneller schlagen ließ. Immer tiefer drang er in das Haus vor. Schließlich wagte er sich in die obere Etage. Die maroden Treppenstufen knarrten unter seinem Gewicht, als er sie betrat.
Während er die Treppe hinaufging, bemerkte er die unzähligen Fotos des verstorbenen Gutsherren und seiner Familie an der Wand. Ein Schauer lief ihm über den Rücken bei dem Gedanken daran, dass der einstige Bewohner immer noch durch das alte Gemäuer spuken könnte. Was für ein Mensch er wohl gewesen war? Und was würde er wohl tun, wenn er einen Einbrecher in seinem Haus entdecken würde? Schnell verdrängte er diese Gedanken wieder, ansonsten hätte ihm wohl der Mut gefehlt, weiterzugehen.
Am oberen Ende der Treppe trat ein langer Flur aus der Dunkelheit hervor, den die Kerzen nur ein Stück weit ausleuchten konnten. Das Herz des Einbrechers raste. Er hatte das Gefühl, sich in einem Tunnel befinden, der tief unter der Erde verlief. Aus der Finsternis schienen Stimmen zu flüstern:
"Komm näher!"
"Nein! Das ist alles nur Einbildung! Mir gehen nur die Nerven etwas durch.", sagte er sich.
Inzwischen ging er wie in Trance immer weiter. Langsam und bedacht setzte er jeden Schritt auf den ächzenden Dielen, als ob ihm jeden Moment ein wildes Tier anfallen könnte. Plötzlich sah er einen kalten, geisterhaft schimmernden Lichtschein unter einem Türspalt kriechen.
"Hier herein!", flüsterten die Stimmen unaufhörlich.
Die Scharniere quietschten, als er die Tür öffnete. In dem kleinen Raum stand ein Tisch, auf dem sich eine kunstvoll gearbeitete Kiste befand. Sie besaß einen gewölbten Deckel und Schnitzereien. Doch bei genauerer Betrachtung erkannte man, dass sie grausame, dämonische Fratzen darstellten, die so lebendig aussahen, dass er glaubte, sie würden sich im nächsten Moment bewegen.
Doch die Kiste zog den Dieb trotz ihres Aussehens magisch an. Als er sich ihr näherte, vermischten sich die flüsternden Stimmen zu einem unverständlichen Zischen, das nicht von dieser Welt zu stammen schien. Als er den Kerzenleuchter auf dem Tisch abstellte, schien die Kiste leicht zu pulsieren, als ob sie einen Herzschlag besäße. Er griff nach dem Deckel, um sie zu öffnen. Doch als er ihn anhob, floss eine pechschwarze, zähflüssige Substanz heraus, die ihm über die Hände lief, als ob sie ihn markieren wollte.
Die Augen des Gauners weiteten sich entsetzt, als er die schwarze, klebrige Masse an seinen Händen untersuchte. Viel Zeit dafür blieb ihm aber nicht, denn plötzlich bebte der Boden unter seinen Füßen. Immer stärker wurden die Erschütterungen, sodass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Nach einem sicheren Halt suchend, bemerkte er nicht, dass die Kerzen – seine einzige Lichtquelle – immer weiter zur Kante des Tisches wanderten, bis sie schließlich herabfielen und verloschen.
Seine Hände begannen zu zittern. Langsam wurde ihm klar, in welch brenzliger Situation er sich befand. Doch bewegen konnte er sich nicht. Erst als die Kiste ebenfalls mit einem dumpfen Knall auf dem Boden aufschlug, erwachte er aus seiner Schockstarre und rannte um sein Leben – blind in der Finsternis.
Streifte ihm da gerade etwas am Arm? Egal! Denn das Flüstern hatte sich inzwischen in quälende Schreie verwandelt, die ihn aus der Dunkelheit heraus verfolgten. Sie waren seine einzige Orientierung, denn wo sie waren, wollte er unter keinen Umständen hin. Bei dem Versuch, sich seinen Weg zu ertasten, riss er Bilder von den Wänden und eine Vase von einem Regal, die scheppernd zu Bruch ging.
Endlich erreichte er die Treppe und stellte voller Zuversicht fest, dass ihm das Mondlicht, das durch einige Fenster schien, ein wenig Sicht verschaffte. So schnell er konnte, lief er die Treppe herab – vorbei an den Fotografien. Dabei verfolgten ihn die Augen der Fotografierten, während die Schatten, die vorhin noch an den Wänden zuckten, sich von jenen gelöst hatten und ihn nun wie menschengroße Raben im Chaos verfolgten.
Panisch stürzte er in den nächstbesten Raum und ließ die Tür krachend ins Schloss fallen, um der geisterhaften Gefahr zu entkommen. Es funktionierte. Sie kreisten nun allerdings im großen Eingangsbereich – wartend auf den Eindringling. Einen Ausweg suchend, schaute er sich um. Dieser Raum – hier war er vorhin doch schon mal, als er die Kerzen fand. Und da war auch der Flügel. Er stand an einem Fenster, durch das der Mond ihn in sein sanftes Licht tauchte.
"Vielleicht", dachte er sich, "kann ich durch das Fenster dieses spukende Irrenhaus entkommen."
Doch kaum tat er den ersten Schritt in Richtung des Fensters, gab der Flügel plötzlich – ohne dass jemand daran saß – ein lautes, unnatürlich verzerrtes Geklimper von sich. Der Gauner zuckte zusammen und erschrak so heftig, dass er es vorzog, die lauernde Gefahr hinter der Tür zu ignorieren und panisch in den Eingangsbereich zu laufen.
Er rannte so schnell, dass ihn selbst die Schatten auf seinem Weg zur Haustür nicht einholen konnten. Und kaum hatte er sie durchquert: Stille. Nur ein herzhaftes, amüsiertes Lachen drang durch das alte Herrenhaus, als ob sich der Gutsherr einen kleinen Schabernack aus dem Jenseits erlaubt hätte. Nur die verschmierten, schwarzen Handabdrücke an Wänden und Türen, die der Gauner auf seiner Flucht hinterließ, erinnerten an diese Nacht – wie stumme Zeugen einer endlosen Nacht.