Tausende kleine Lichter blinkten im nächsten Raum – einige im Takt, manche als wären sie außer Kontrolle. Auf dem Boden lagen dicke schwarze Kabel, die sich wie Schlangen zusammen kringelten. In den schwarzen Metallwänden befanden sich neben den Lämpchen auch Displays, über die Zahlen und Symbole flimmerten – zu schnell, um sie zu erkennen. Auch Module waren in den Wänden eingelassen – sie sahen aus, wie kleine, nach außen gewölbte Schubladen. Erholen konnte sich der Fotograf hier allerdings nicht, denn die Quelle des beißenden Geruchs lag eindeutig in diesem Raum – der Stations-KI.
Einige ihrer Module waren beschädigt. Das konnte man deutlich an den Rußspuren erkennen, die an ihnen und in ihrer Nähe klebten. Sie schien einfach vergessen worden zu sein, als die Station stillgelegt wurde und machte einfach weiter, so gut es ging. Der Fotograf ging einige Schritte weiter, um sich etwas genauer umzuschauen, als die Lautsprecher wieder begannen zu knistern.
"Bist du... echt?", fragte dieselbe Stimme, wie vorhin – oder besser gesagt Stimmen. Als ob sie auf der Suche nach ihrer eigenen wäre.
"Ja", antwortete er. "Warum bist du auf einer verlassenen Station noch aktiv?"
Die Lichter flackerten nervös. "Nicht... ver-lassen!"
Es dauerte ein wenig, bis er sie überzeugen konnte, dass niemand mehr dort ist. Als sie begriff, rollte ein lautes metalisches Donnern von den oberen Decks bis nach ganz unten.
"Ich kann dich mitnehmen.", bot er ihr an.
"Nein... nicht abschalten!"
"Nur vorübergehend. Nur bis wir jemanden finden, der dir helfen kann."
Aus den elektronischen Wänden drang ein statisches Knistern.
"Nicht mehr... allein?"
"Nein", beruhigte er sie, "nicht mehr allein. Du wirst unter Menschen und anderen KIs sein."
Keine Antwort. Aber ein Geräusch drang durch die massive Stahltür. Ein rhythmisches Poltern. Es dauerte nicht lange, bis ihm klar wurde: Das waren Schritte – metallisch, schwer, unaufhaltsam, und sie kamen immer näher. Jeder von ihnen wurde von einem kurzen Zischen begleitet. Da kam definitiv etwas großes auf ihn zu – etwas hydraulisches.
War außer der KI doch noch jemand an Bord? Oder traute sie ihm etwa nicht und wollte ihn nun los werden? Als die Schritte ganz nahe waren, stoppten sie. Vielleicht könnte er hören, was auf der anderen Seite vor sich geht, wenn er sein Ohr an die Tür legte. Leise ging er einen Schritt vor, als sich der Eingang plötzlich unter einem kreischenden Geräusch verformte und schließlich ganz aus den Angeln gerissen wurde.
Vor ihm stand ein Wach-Android. Etwa zwei Meter groß und so breit, dass er fast nicht durch den Türrahmen passte. auf seinen matten Panzerplatten schimmerte das Licht der unzähligen Lämpchen der KI. Er schien sich einen Überblick zu verschaffen, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Der Fotograf saß in der Falle, denn der Roboter blockierte sowohl die Tür als auch den Luftschacht direkt daneben. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Es gab keinen Ausweg mehr. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und er konnte jeden einzelnen Herzschlag hören. Der Android stand nun direkt vor ihm, scannte ihn mit seinen rot leuchtenden Kameras, die an seinem kleinen, thermoskannenartigen Kopf befestigt waren. Dann hob er seinen Arm. Das war's jetzt. Doch anstatt den Fotografen anzugreifen, rammte er ihn sich selbst in die Brust und zog ein Modul heraus, woraufhin er leblos zusammensackte.
"Speicher:", knisterte es aus dem Lautsprecher.
Eine etwas weniger furchteinflößsendere Antwort, als eine Nahtodeserfahrung, hätte es auch getan.
Einige kleine Modifikationen waren zwar nötig aber dann war das Modul bereit, um die KI vorübergehend zu beherbergen. Als der Speicher mit dem Interface verbunden war, fuhren die Umweltsysteme mit einem leisen Heulen herunter. Die KI wurde gerade übertragen, als die Station plötzlich von einem lauten Knall erschüttert wurde – als ob etwas explodiert war. Eines der Displays blinkte hektisch auf und zeigte dabei eine rote Schrift. Druckabfall auf drei der oberen Decks. Offenbar wurden sie auseinandergerissen und das Grollen, das die Station immer wieder erzittern ließ, verhieß nicht gutes.
Die Fortschrittsanzeige der KI-Übertragung schien noch langsamer über das Display zu kriechen, als die teolutischen Schnecken ihrer Zeit durch die Labore glitten. Die Station ächzte unter dem Verlust der strukturellen Stabilität. Der Fotograf beobachtete derweil mit zitternden Händen abwechselnd die Statusanzeige der KI-Übertragung und die Kontrollen der übrigen Decks.
Endlich war es soweit; die Übertragung war abgeschlossen. Er riss den Speicher aus dem Steckplatz, steckte ihn sich in die Tasche und rannte los zum vertikalen Korridor. Jetzt, da die KI keine Kontrolle mehr über die Systeme hatte, konnte sie die Station zwar nicht mehr stabilisieren, aber dafür sollte der Korridor wieder funktionieren.
In dem Moment, als der er ihn erreichte, erschütterte die nächste Explosion die Station. Ein Blick in die oberen Decks: alles abgeschottet. Er legte seinen Helm an und warf sich entschlossen in die Schwerelosigkeit des Korridor. Der Weg nach unter wurde blockiert von Trümmerteilen der Hülle, etwas, das mal zu einer Kontrollkonsole gehört haben könnte, Glassplitter und... ist das ein Mixer?
Er bahnte sich einen Weg durch den umherfliegenden Schrott. Die Luftschleuse war zum Greifen nahe. Nur noch zwei Decks. FWOOOM! Die nächste Explosion zerfetzte ein weiteres Deck und riss die Außenhülle fast bis in die unteren Decks auf.
Unter tosendem Lärm entwich der letzte Sauerstoff, der den Fotografen zusammen mit den Trümmern aus dem Korridor zog und über das Deck schleuderte. Verzweifelt suchte er im Chaos nach Halt – ein Griff, ein Türrahmen, irgendwas – fand ihn aber nicht. Sein Herz raste, der Helm beschlug und die gähnende Leere des Alls rückte unaufhaltsam näher.
Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Am Rande des Risses hatte sich ein großes Trümmerteil verkeilt, dessen spitzen Kanten ihm in den Rücken stachen, als er dagegen gepresst wurde. Und plötzlich: Stille. Das letzte bisschen Sauerstoff hatte sich aus der Station verflüchtigt.
Der Fotograf stämmte seine Hände in den Rücken – ein Versuch, die Schmerzen zu lindern. War die KI unbeschadet? Entwarnung. Das ist ein sehr robuster Speicher. Sein Rücken knackte laut, als er sich aufrichtete – er stöhnte.
"Warum gibt es auf solchen Stationen eigentlich nie eine Bar?"