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Der ewige Fotograf in Cyber City - Teil 1

In tiefschwarzer Nacht spiegelten sich die bunten Neonlichter der Stadt in den Pfützen, die der Regen hinterließ. Aus allen Richtungen strömte ein Wirrwarr fremder Sprachen – als käme es aus den Tiefen der Galaxie. Etwas abseits des Trubels stand eine alte Imbissbude, die scheinbar nur noch von Staub, Schlamm und Fett zusammengehalten wurde – Schichten, die seit Generationen niemand angerührt hatte. Damit passte sie hervorragend zum Erscheinungsbild der restlichen Stadt. Mitten in der Nacht saß dort ein Wesen – zugleich fremd und doch seltsam vertraut. Ein Mensch? 

Nur auf den ersten Blick. Er hatte eine grüne kleine Tasche auf dem fettigen Tisch abgestellt, die – genau wie er selbst – in einer geheimnisvollen Aura gehüllt war. In den Nähten: Staub von unzähligen Abenteuern auf tausenden Planeten. Geflickt, mit seltsamen Symbolen versehen aber robuster, als sie auf den ersten Blick wirkte. Der breit gebaute Imbissbesucher saß schweigend daneben. Eingehüllt in einen abgewetzten schwarzen Ledermantel, beobachtete er die Umgebung und wartete auf sein bestelltes Essen, während er der Bedienung hinter dem Tresen zuhörte – einem schneckenartigen Wesen, das dazu in der Lage war, gleichzeitig zu reden und die falsche Bestellung zuzubereiten. Dieser Kerl hatte in seinem Leben schon verdammt viel gesehen – das sah man ihm an.

Doch plötzlich flog ein Glas aus der Bar gegenüber – es zerschellte klirrend auf dem Bürgersteig und verfehlte nur knapp einen grünhäutigen Alien mit einer Art Rüssel im Gesicht. Jetzt wurde er aufmerksam. Es dauerte nicht lang, bis ein bizarr wirkendes Lebewesen aus der Tür platzte und laut in einer Sprache fluchte, die die meisten Anwesenden wohl nicht verstanden. Das Licht der Neonschilder wurde fast vollständig von seiner dunkelblauen Haut verschluckt. Mit großen Schritten ging er auf die zierliche, grüne unbekannte zu und zog ein blitzendes Messer aus den braunen Fetzen, die um seinen Körper schlackerten und vor langer Zeit wohl mal so etwas wie eine Jacke waren. Gerade als er zum Stich ausholen wollte, tauchte der mysteriöse Imbissbesucher direkt neben den beiden auf – die Beuteltasche lässig über der Schulter.

„’Tschuldigung, wisst ihr vielleicht, wo ich hier jemanden finde, der mir die Tasche flicken kann?“, fragte er, als ob es das Normalste der Galaxie wäre.

Mit einer solchen Frage hatte wirklich keiner von den beiden gerechnet. Jetzt richtete sich der Zorn des großen Aliens gegen ihn. Er schrie ihn an – dieses Mal in einer verständlicheren Sprache. Er wurde immer lauter und fing an, wild zu gestikulieren. Die Grünhäutige hatte dadurch allerdings genug Zeit, um unbemerkt zu fliehen. Der Retter hob nur die Hände.

Okay, okay! Entschuldigung!“, sagte er und verschwand genau so schnell, wie er gekommen war, um den Weg zu seinem unbekannten Ziel fortzusetzen. Immer noch hungrig – aber mit einem kleinen Lächeln im Gesicht.

* * *

Kaum ein paar Schritte weiter kam er an einer unbeleuchteten Seitengasse vorbei – das war etwas Besonderes in dieser Stadt. In fast jedem Winkel fiel wenigstens ein kleiner Schein der Neonlichter und Werbe-Hologramme, die über den Straßen flimmerten. Aus der Gasse kroch ein beißender Gestank von fauligem Fisch und verbranntem Gummi – kein Ort, an dem man sich lange aufhalten möchte.

Hey, Fremder! Ich will mich bei dir bedanken.“, hörte er jemanden aus der Gasse flüstern. Doch darauf legte er keinen Wert und antwortete nur knapp:

Schon gut.

Gerade als er weitergehen wollte, trat das eben noch geflohene Alien aus dem Schatten.

Bitte! Ich weiß zu schätzen, was du für mich getan hast. Das ist hier keine Selbstverständlichkeit.

Weißt du, wo ich hier etwas essen kann?“, fragte er mit einem müden Grinsen auf den Lippen. „Damit wären wir quitt.

* * *

Über der Eingangstür des Lokals flackerte ein altes Neonschild, auf dem man nur noch das Wort „Bar“ erkennen konnte. Innen war es schummrig beleuchtet – ein Hauch von transgalaktischen Tintenfischringen lag in der Luft. Eigentlich ganz gemütlich.

Ich heiße Onytri. Und wie ist dein Name?“, fragte das Alien den Unbekannten.

Ich bleibe nie lang. Es wäre sinnlos, dir meinen Namen zu verraten.

In der Zwischenzeit hatte sich die Kordel der Tasche etwas gelöst, die wie schon zuvor dicht neben ihm auf dem Tisch stand – Onytri schaute neugierig hinein.

Ist das eine Kamera da drinnen? Dann nenne ich dich einfach Fotograf.“, beschloss sie, ohne eine Antwort abzuwarten. „Was treibt dich hierher?

Ich besuche hier einen alten Freund. Er repariert etwas für mich.

Onytri legte ihren Kopf leicht schräg und schaute ihn mit fragendem Blick an. Er lächelte:

Du bist ganz schön neugierig. Wenn du möchtest, erzähle ich dir die ganze Geschichte, während wir auf das Essen warten.

Das Angebot war zu spannend, um es abzulehnen.

Ich wollte auf Ladnoi-4 ein paar Vorräte auffüllen. Es ist ein dunkler Planet – voller Gauner, aber auch mit leckeren Lebensmitteln. Mir war klar, dass ein alter Bekannter es schon seit einer Weile auf die Kamera abgesehen hatte – ich war zu unvorsichtig. Er muss mir gefolgt sein und als ich sie nur für einen Moment aus den Augen ließ, stahl er sie.

Warum kauft er sich keine eigene?“, fragte Onytri.

Der Fotograf zog die Tasche mit der Kamera näher zu sich heran.

Sie ist etwas Besonderes.“, sagte er, woraufhin es aus der Tasche leise surrte.

Es war schon spät auf Ladnoi-4, als der Fotograf die kleinen, aus Gerümpel zusammengebauten Stände auf der Suche nach guten Vorräten für seine anstehende Reise abklapperte. Die Wolken färbten sich in schmutzigem Lila und hingen schon tief über dem Markt. Die besten Sachen waren längst verkauft und es lag der schwere Geruch von Regen in der Luft. Allerdings roch es nicht nach einem sanften Sommerregen – nein, auf Ladnoi-4 war der Regen viel saurer. Niemand blieb bei so einem Wetter länger draußen als nötig. Der Fotograf sah sich gerade eine unidentifizierbare dunkelgrüne, stachelige Frucht an – wobei es vielleicht auch ein Tier war – als sich plötzlich jemand die Tasche griff und weg rannte.

Und was hast du dann gemacht?“, fragte Onytri.

Ich rannte hinterher. Es war inzwischen aber fast dunkel, die Gassen auf Ladnoi-4 sind kaum beleuchtet, und es wurde immer schwieriger, den Dieb zu sehen. Er hatte aber das gleiche Problem, und als er dachte, er hätte mich abgehängt, lief er direkt zu seinem Auftraggeber. Er hielt sich in einem alten, verfallenen Lagerhaus auf.

Und du bist einfach rein gegangen?

Nein, nicht ganz. Ich schickte den Mondi auf die gegenüberliegende Hallenseite.

Wer ist Mondi?“, fragte Onytri, während sie sich vor Spannung an ihrem Glas festhielt.

Oh, Verzeihung. Das ist mein Schiff. Klein, alt, aber treu.

Und das hat funktioniert?

Ja. Naja, zum größten Teil.

Die Triebwerke des Mondis jaulten auf, und das helle Licht seiner Scheinwerfer flutete die Halle durch die teils kaputten Fenster und warf lange Schatten der Schrotthaufen und staubigen Maschinen, die überall in der Halle verteilt standen. Die Gauner rannten sofort mit gezogenen Waffen raus, um nachzusehen, was los war. Dabei ließen sie die Kamera auf einer alten, rostigen Maschine liegen – im Glauben, sie wäre dort sicherer. Die perfekte Gelegenheit für den Fotografen, sein Eigentum wiederzuholen. Er kletterte durch ein zerschlagenes Fenster, versuchte, sich nicht an den Scherben zu schneiden, und im Schutz des aufgetürmten Schrottes und der wenigen Schatten, – ja, der Mondi tat sein Bestes... Vielleicht zu viel – schaffte er es, bis zur Kamera. Doch kaum hielt er sie in Händen, blitzte ein Schuss durch die alte Lagerhalle.

Oh, da kommt endlich unser Essen.“, unterbrach er sich selbst.

Onytri saß inzwischen mit großen Augen am Tisch und beugte sich vor Spannung nach vorn.

Du kannst doch nicht an so einer Stelle aufhören, zu erzählen!“, rief sie.

Der Fotograf lachte.

Ich erzähle ja schon weiter.“, sagte er, während er etwas von der Gabel schlürfte, das an einem Tentakel erinnerte.
Da war ich also mit der Kamera in der Hand und Laserschüssen um die Ohren. Ich habe es irgendwie aus der Halle raus geschafft. Mir ist allerdings selber nicht ganz klar, wie genau. Mein Ziel war der Mondi. Er landete nicht komplett, als ich ihn erreichte, sondern blieb in der Luft. Gerade so weit über dem Boden, dass ich rein springen konnte. Dabei wirbelte er ganz schön viel Staub auf. Sah aber cool aus.“, scherzte er.

Und dann bist du hierher geflogen?

Nicht direkt. Einer der beiden verfolgte mich.

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Kaum war die Tür des Mondis geschlossen, schoss er mit dröhnenden Triebwerken in Rekordzeit ins All. Aber sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich ein lauter Knall. Ein Schuss traf ihn direkt ins rechte Triebwerk, das daraufhin dichten schwarzen Qualm ausstieß. In diesem Moment wurde dem Fotograf klar, dass sein Verfolger mehr als nur den Verstand verloren hatte. Die Instrumente spielten verrückt, als der Mondi in die Atmosphäre von Orkma eintauchte.

Orkma? Das ist doch dieser Wüstenplanet, auf dem es nichts außer diesen riesigen, gefräßigen Biestern gibt.“, Onytris Rüssel kräuselte sich vor Spannung, während sie auf einem Fleischbällchen herumkaute – ohne zu wissen, was sie da gerade aß.

Genau. Wir flogen gerade sehr tief an einer Felswand vorbei, als eines von ihnen auftauchte. Das Biest hatte es wohl auf sein Abendessen auf der anderen Seite abgesehen und kroch wie eine Schlange über die Felsen. Dabei stieß es einige große Brocken herunter. Obwohl der Mondi schwer beschädigt war, konnten wir ihnen ausweichen. Mein Verfolger hatte allerdings nicht so viel Glück. Er wurde von einem der Felsen zerquetscht. So entkamen wir – gerade noch.

Und das alles für eine Kamera?

Sie kann mehr als nur fotografieren. Vielleicht zeige ich es dir eines Tages. Aber jetzt muss ich los – der Mondi wartet.

Er funktioniert noch? Ich dachte, er sei bei der Flucht zerstört worden.

Nein, der ist so schnell nicht kleinzukriegen. Zugegeben: Als er den Treffer kassierte, dachte sogar ich, dass es das war – aber Pax flickt ihn immer wieder zusammen.

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So verschwand der Fotograf – hinterließ mehr Fragen als Antworten und ein Foto, das nie aufgenommen wurde: das Lokal, der Tisch im Halbdunkel – und sie beide.
Onytri blieb noch eine Weile allein sitzen. Sie starrte in die letzten Tropfen ihres Glases, als ob sich darin eine Antwort versteckt hätte, und dachte über den Fremden mit den vielen Geheimnissen nach.

Ich glaube, er ist nicht auf der Flucht.“,flüsterte sie leise.
Er ist auf der Suche nach den Antworten in den Schatten.

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